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Kostbarer Schutz für Teile des Kirchenjahres

Auf das Juramenten-Buch legten Domherren ihren Eid ab

In einer Sammlung jüdischer Gesetzestexte, im Talmud, ist folgende Erzählung überliefert: Als ich zu Rabbi Jischmael kam, fragte er mich: “Mein Sohn, was ist deine Beschäftigung?“ Ich erwiderte ihm: ”Ich bin Thora-Schreiber. Ich schreibe die fünf Bücher Mose ab.“ Da sprach er zu mir: ”Mein Sohn, sei vorsichtig bei deiner Arbeit; denn sie ist eine Arbeit wie die Arbeit Gottes. Wenn du nur einen Buchstaben auslässt oder einen Buchstaben zu viel schreibst, zerstörst du die ganze Welt.“

“Thora-Schreiber“, die alles mit der Hand schrieben, hat es bis ins Mittelalter gegeben. Weil es auf jedes Wort an kam - bei der Bibel war es ja Gottes Wort -, haben die heiligen Schriften bis heute ein unbeschreibliches Gewicht. Deshalb werden sie immer wieder gelesen und im Gottesdienst vorgetragen. Neben den alt- und neutestamentlichen Lesungen stehen vor allem die Evangelien im Mittelpunkt. Sie beschreiben das Leben Jesu. ”Die Bibel nicht kennen, heißt Jesus nicht kennen“, sagt der heilige Hieronymus.

Das Elfenbeinrelief auf dem Evangelistar ist um 860 entstanden.Die Evangelientexte der einzelnen Gottesdienste werden in Büchern zusammen gefasst. Wenn die Evangelientexte aller Messen des ganzen Kirchenjahres in einem solchen Buch enthalten sind, spricht man von einem Evangeliar, wenn nur Teile darin stehen, von einem Evangelistar. In der Schatzkammer des Mindener Domes ist der Buchdeckel eines solchen Evangelistars ausgestellt, der durch seine außergewöhnliche künstlerische Gestaltung die Erhabenheit des Wortes Gottes zum Ausdruck bringt.

Der Buchdeckel, der leider durch den Brand des Domes nach einem Bombenangriff im Jahr 1945 stark beschädigt ist, wurde vom Buchblock getrennt. Er setzt sich aus zwei Teilen zusammen, die aus unterschiedlichen Zeitepochen stammen. Der breite äußere Zierrahmen besteht aus mit Holz hinterlegtem Blech aus vergoldetem Silber, dessen äußerer und innerer Rand von einem Maßwerkfries eingefasst ist. Dazwischen bildet sich eine breite Rahmenleiste mit spätgotischem Rankenwerk. Die oberen und unteren Leisten sind breiter als die seitlichen. In jedem dieser vier Felder sind drei kostbare Edelsteine mit Akanthusblättern eingefügt. Es handelt sich um Smaragd, Saphir, Granat, Chalzedon, Amethyst und saphirblauen Glasstein. Dieser Rahmenteil des Buchdeckels ist eine Goldschmiedearbeit aus dem 15. Jahrhundert. Allerdings stammen die Steine aus älterer Zeit; wahrscheinlich hatten sie vorher einen anderen Verwendungszweck als Halsschmuck oder Ohrgehänge. Aufgrund der engen Beziehungen zwischen Bischof Milo (969-996 ) und dem Hofe Ottos II. und seiner Gemahlin Theophanu aus Byzanz konnten solche Edelsteine leicht beschafft werden.

Von besonderem Wert ist das fast quadratische Elfenbeinrelief, das ein Geschenk des Bischofs Milo sein soll, auf den Hermann von Lerbeck Ende des 14. Jahrhunderts mit den Worten hinweist: ”Es gereiche dir, Gorgonius, dieses Buch - so bitte ich - sehr zum Ruhme, welches der Bischof Milo in Gold fertigen ließ.“ Auch im Mindener Domschatzinventar von 1683 wird auf das Buch ”mit zwölf Edelsteinen“ und der ”Figur des aufsteigenden Christus“ hingewiesen.

Das Elfenbeinrelief stammt aus der karolingischen Zeit und ist zwischen 860 und 870 entstanden. Es beschreibt die Himmelfahrt Christi. Die Szene wird an den Seiten und oben von Akanthusfriesen eingerahmt. In der unteren Bildhälfte stehen und knien die Apostel, in ihrer Mitte Maria. Einige trauern und wischen sich ihre Tränen ab, andere schauen zum Himmel. Über ihnen schweben rechts und links zwei Engel, die zu den Menschen schauen, aber gleichzeitig auf Christus verweisen. Er geht ihnen voraus, um für sie die himmlischen Wohnungen zu bereiten. Der in den Himmel auffahrende Christus hält in seiner linken Hand eine Schriftrolle, mit der rechten ergreift er die Hand des himmlischen Vaters, die ihm aus der Wolke entgegengestreckt wird. Die Wolke ist in der Bibel oft Zeichen der Gegenwart Gottes; sie enthüllt und verbirgt.

Das Relief wird in die Nähe der Elfenbeinwerke der so genannten Liuthargruppe gerückt, die nach dem Schreiber Liuthar, der für Kaiser Karl den Kahlen gearbeitet und am Codex Aureus in Regensburg mitgearbeitet hat, benannt wurde. Dieses Evangelistar wird auch Juramenten-Buch genannt, weil bis zur Auflösung des Mindener Domkapitels im Jahre 1811 die Domherren und andere kirchliche Beamte darauf ihren Eid abgelegt haben. Aus diesem Grunde ist das äußerst kostbare Buch auch nach dem Westfälischen Frieden 1648 in Minden geblieben.

Nächstes Objekt des Domschatzes: Kostbarer Buchdeckel einer Benediktinerin

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