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Törichte Jungfrauen aus dem Stift Schildesche

Reliquienschrein kam nach Säkularisation nach Minden

Reliquienschreine wollen nicht nur Gebeine von Heiligen aufnehmen, sie wollen die Betrachter auch auf das Leben hin belehren. Die Menschen sollen nicht im Diesseits untergehen, sondern immer wieder an die kommende Welt, an die Ewigkeit erinnert werden. Darum werden ihnen häufig an Kirchen endzeitliche Gleichnisse - in Kunst übersetzt - nahe gebracht, vor allem an Portalen.

Ein solches mahnendes Motiv ist die Erzählung Jesu von den klugen und törichten Jungfrauen (Matthäus 25,1-13). Am Mindener Dom ist sie im so genannten Jungfrauenportal in Stein gehauen. Aber auch in der Schatzkammer wird dieses Thema auf eindrucksvolle Weise behandelt: am Reliquienschrein aus dem Stift Schildesche.

Der Reliquienschrein aus dem Stift Schildesche.In unserer Nachbarschaft Schildesche in Bielefeld bestand im Mittelalter ein Damenstift, das dem hl. Johannes dem Täufer geweiht war. Die Gründerin des Stiftes Marcsvidis hatte von ihrer Romreise eine Reliquie des hl. Johannes mitgebracht. In einem Verzeichnis aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts wird auch diese Reliquie erwähnt. Nach der Aufhebung des Damenstiftes in der Säkularisation wurde der Schrein dem Mindener Dom geschenkt.

Der Schrein besteht aus Eichenholz. Das ist eine Seltenheit, da Holz für einen solchen Zweck nicht beständig genug ist. Er wurde um 1330-1340 geschnitzt, farbig gefasst und hat die Form eines Hauses mit Giebeldach. Auf einem dunkelblauen Untergrund sind alle Figuren mit goldenen Gewändern versehen. Rund um den Schrein zieht sich eine Galerie gotischer Spitzbögen, in denen Figuren stehen. In der unteren Reihe der Längsseite befinden sich die zwölf Apostel. Alle tragen das Buch in ihrer linken Hand, nur Johannes hält es in seiner rechten. Einige Apostel sind durch Attribute gekennzeichnet, so etwa Petrus, Paulus, Jakobus und Johannes der Täufer.

Im oberen Dreiecksfeld der einen Stirnseite ist Jesus als Weltenrichter abgebildet. Er sitzt in einer Mandorla auf dem Regenbogen und hat einladend seine Hände ausgebreitet. Zwei Engel knien an seiner Seite und halten Marterwerkzeuge in ihren Händen. Im unteren Feld stehen Maria von Magdala, die betende Gottesmutter und die hl. Katharina.

Auf der anderen Giebelseite befindet sich der Patron des Stiftes, der hl. Johannes der Täufer, am Fell und am Attribut des Lammes zu erkennen. Neben ihm stehen ein Engel mit Weihrauchfass und die Äbtissin. Unter ihnen sind drei Äbtissinnen abgebildet, die eine identisch gebildete Architektur tragen.

Mit mahnender Eindringlichkeit sind an den oberen Längsseiten des Schreins die klugen und törichten Jungfrauen dargestellt, die dem Betrachter zum beherrschenden Thema werden. Sie stehen auf einem besonders verzierten Grund und tragen Lampen in ihren Händen. Die klugen Jungfrauen, die stereotyp gestaltet sind, tragen Kronen auf ihren Häuptern und halten die Lampen nach oben. Sie haben sich auf das Kommen des Herrn vorbereitet, indem sie nach tieferen Begründungen für ihr Leben gesucht und nach dem Woher und Wohin des Menschen gefragt haben. Ihre Antworten waren von der Rückkehr des himmlischen Bräutigams bestimmt; darum hatten sie genug Öl in ihren Krügen. In ihrer Wachsamkeit haben sie die Ewigkeit nie aus den Augen verloren; deshalb werden sie von einer triumphierenden Figur, der Ecclesia, in die Ewigkeit geführt. Die fünf törichten Jungfrauen sind individuell geschnitzt. Ihre Trauer über das verlorene Paradies, ihre Schrecken und Leiden sind eindrucksvoll dargestellt. Sie tragen die erloschenen Lampen, die kein Öl mehr haben, verzweifelt nach unten. Es lohnt sich, jede Figur einzeln zu betrachten, um den Schmerz der Jungfrauen über die verlorene Chance zu erkennen.

Die törichten Jungfrauen werden von der Synagoge angeführt. Ihr Fahnenstab ist dreifach gebrochen; in ihrer Hand trägt sie den Bockskopf als Symbol des Teufels. Nachdem sich das Verhältnis der Christen zu den Juden grundlegend geändert hat, nachdem wir sie heute als unsere älteren Geschwister im Glauben betrachten und uns daran erinnern, dass Jesus, Maria und die Apostel selbst Juden gewesen sind, tut es uns weh, in der mittelalterlichen Kunst die Synagoge so abwertend dargestellt zu finden.

Eine solche Abbildung kann aber auch als eine Aufforderung an die Christen verstanden werden, das eigene Bild über die Juden zu überdenken, wenn nötig zu korrigieren und sie letztlich als diejenigen zu betrachten, deren Berufung durch Gott zum Fundament des christlichen Glaubens geworden ist. Was wären wir Christen ohne die Juden!

Nächstes Objekt des Domschatzes: Das Hedwigsglas

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