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Der neue Vierungsturm des Mindener Domes

Der neue Vierungsturm des Mindener Domes ist als Glockenturm eingerichtet.

Es war eine extreme Herausforderung für die Ingenieure und Bauarbeiter gleichermaßen. Das Projekt "Vierungsturm mit Geläut", mit dessen Realisierung im September 2011 im Dachstuhl des Mindener Domes begonnen wurde, suchte in Deutschland seinesgleichen.

Man hätte in den ersten Wochen den Eindruck haben können, dass das rund 800.000 Euro teure Bauvorhaben in eine Art Dornröschenschlaf gefallen war, schilderte Arno Doebler. Zunächst waren Bauzäune nordöstlich des Domes errichtet worden. Dann wurden tonnenschwere Stahlträger angeliefert, die sang- und klanglos im Dach des Sakralbaues zu verschwinden schienen. Doch das täuschte.

Doebler ist als Diplom-Ingenieur beim Bau- und Liegenschaftsbetrieb Nordrhein-Westfalen (BLB) tätig und für Hochbaumaßnahmen des Landes im Heimatraum zuständig. So auch für den Mindener Dom. Denn das Land hält beim Dom das Kirchenpatronat und ist damit für die Instandhaltung aber auch Vorhaben wie den Vierungsturm zuständig. Denn dieser Turm über der Kuppel im Schnittpunkt von Lang- und Querhaus war bis zur Zerstörung des Mindener Domes durch alliierte Bomben im März 1945 über Jahrhunderte fester Bestandteil des mächtigen Kirchengebäudes.

Der Vierungsturm wurde vor dem Dom errichtet und dann aufgesetzt.Gemeinsam mit Architekt Bernhard Brüggemann von der Arbeitsgemeinschaft Historische Bauten (B!), der seit gut drei Jahrzehnten deutschlandweit gerade auch große Kirchenbaumaßnahmen betreut, war der BLB-Vertreter bei der "Herausforderung Vierungsturm" tätig. Mit hohem Zeitaufwand wurden die Vorbereitungen für das Ein- und Aufsetzen des Glockenturmes ausgeführt, der 24 Meter über den Dachfirst hinausragt und in der Spitze genauso hoch wie der Dachreiter des Westwerkes ist. Fast 110 Tonnen schwer ist das gesamte Stahlobjekt mit seiner Kupferverkleidung und den fünf Glocken.

Entsprechend aufwendig waren schon die Vorarbeiten. Zunächst wurde eine Rahmenkonstruktion geschaffen, um den Dachstuhl abzufangen, wenn er in dem Bereich geöffnet wurde, aus dem der Vierungsturm herauswächst.

Der gesamte Dachstuhl des Querhauses ist äußerst filigran. Beim Wiederaufbau des Domes Anfang der 1950er-Jahre waren die Lohnkosten billig, das Material extrem teuer. So wurde mit hohem Personal- und Stundenaufwand ein Dachstuhl aus einem feinen Stahlgestänge errichtet - in einer Art Falttechnik, sodass es nach der Fertigstellung nur noch auseinandergezogen werden musste. Die Scharniere an den Streben deuten noch heute auf diese Technik hin.

In diesem Gewirr von Verstrebungen mussten die Bauarbeiter auf engstem Raum die Unterkonstruktion für den Vierungsturm einbauen. Brüggemann und andere Baufachleute hatten vielfach gerechnet wie hoch die Belastungsmöglichkeit der Mauern und Pfeiler des Domes ist, wie sich das Schwingen der Glocken auswirkt und wie das mächtige Stahlgerüst, das an vier Stellen auf Brückenlager aufgesetzt wurde, in den Turm eingebracht werden konnte. Eine Meisterleistung aller Beteiligten.

Die Stahlbaufirma Teufert aus Quakenbrück errichtete die Unterbaukonstruktion am Firmenstandort. In vier Teile zerlegt, wurde der mehr als 30 Tonnen schwere Unterbau mit einem Schwertransport nachts nach Minden gebracht. Zwei Tage zuvor wurde das Dach geöffnet. Eine Haube aus Aluminiumgestellen und Lkw-Planen überdeckte die Öffnung, um die dann offen liegende Kuppel in der Vierung des Domes vor Regenfällen zu schützen.

War die Unterkonstruktion mit ihren vier Spinnenbeinen unter schwierigsten Bedingungen eingebaut, wurde zunächst eine Schutzwanne in Form eines Kreuzes aufgesetzt, die im Brandfall herunterfallende Teile auffangen und somit den Dombau schützen soll.

Alte Ansicht des Vierungsturms, wie er bis 1945 bestand.In zwei Teilen wurde dann der Turm selbst aufgesetzt. Zunächst die Laterne in Form eines Oktogons, in die die Glocken eingehängt wurden. Dann der Helm mit Kugel und Kreuz an der Spitze, die sich nach Fertigstellung des Turmes nun in einer Höhe von 56 Metern befindet.

Beide Teile des Turmes wurden erst vor Ort mit Kupfer verkleidet, da die Platten während des Schwertransportes hätten beschädigt werden können.

Im Dezember 2011 wurden der Vierungsturm fertig gestellt und die fünf Glocken, die in ihm läuten, geweiht. Die Glocken erinnern an Heilige und Selige, die beispielsweise unter anderem zurzeit des Nationalsozialismus im katholischen Widerstand aktiv waren und von den Nazis ermordet wurden. Darunter die Heilige Edith Stein, eine Karmeliterin, der Selige Rupert Mayer, ein Priester und der Selige Nikolaus Groß, ein Journalist.

Mitte Mai 2012 wurden die Arbeiten abgeschlossen.

Mit dem Vierungsturm wurde ein mehr als sechs Jahrzehnte gehegter Wunsch der Domgemeinde Realität: Der im Ursprung mehr als 1200 Jahre alte Dom, der Ende des Zweiten Weltkrieges durch alliierte Bomben zerstört wurde, ist wieder "komplett".

Autor: Hans-Jürgen Amtage


Weiterführende Links zum Thema Vierungsturm:

Die Vierung bei Kirchenbauten
Andere Vierungstürme

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